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Richard und Erika Arlt - Zwei Leben für die DDR

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Verlorener Transport, Überlebende Kinder
Biographien von Überlebenden Kindern in alphab. Reihenfolge, auch externe Quellen, insb. spurenimvest.de. Zum Ansehen bitte anklicken

Biographien von überlebenden Kindern des Verlorenen Transports

 
Weil, Jean, geb. 6.9.1938; in Briey, (Meurthe-et-Moselle, Frankreich)
Mutter:
Odette Georgette geborene Levy, geb. 18.2.1910 in Nancy, gest. 30.8.2003 in Paris, 20. Arr.
Vater:
Marcel Henri Weil, geb. 7.2.1907 in Nancy, gest. 15.4.1994, in Vaux-Le-Pénil, Seine-et-Marne, Ingenieur.
Schwestern:
- Josette, Lucie, France geb. 29.03.1942 in Mancieulles, gest. 27.4.1945 in Tröbitz, Deutschland
- Marie, Josette geb. 1.8.1946
Frère:
Gérard, René geb. 30.6.1948
 

JEAN WEIL, ÜBERLEBENDER DES VERLORENEN TRANSPORTS
Lebensbericht von Marie Josette Ehrhard-Weil

Odette Weil mit ihren Kindern Jean et Josette (Photo:privat)  

Er wurde am 6. September 1938 in Briey (Meurthe et Moselle) geboren. Sein Vater, Marcel, war Betriebsleiter in einem Bergwerk in Mancieulles. Seine Mutter Odette war seit ihrer Heirat nicht mehr berufstätig.
Er war vier Jahre alt, als er zusammen mit seiner Mutter und seiner sechs Monate zuvor geboren kleinen Schwester Josette von der Gestapo in der Wohnung der Familie verhaftet wurde (29. März 1942). Man bringt sie in das Gefängnis von Briey, dann nach Ecrouves, Beaune-La-Rolande, Drancy und am 2. Mai 1944 werden sie nach Bergen-Belsen deportiert. Es war ihr Status als Frauen von Kriegsgefangenen, der die Deportation der Gruppe jüdischer Frauen, zu der auch Odette gehörte, verzögerte.
Am 9. April 1945 wurden sie zusammen mit etwa 2000 anderen Juden/Jüdinnen in den "Verlorenen Zug" oder "Verlorenen Transport" verladen und in Tröbitz von der Roten Armee befreit. Leider endete damit der Albtraum des Krieges nicht, da Josette am 27. April starb.

Familie, Ausbildung und berufliches Leben
In Thann (Haut-Rhin), wo sich die Familie niederlässt, werden eine Schwester, Marie-Jo (1946), und ein Bruder, Gérard (1948), geboren. Ihr Vater ist Ingenieur und Betriebsleiter in einem Unternehmen für chemische Produkte. Leider erkrankt Jean bei der Ankunft im Elsass an einer tuberkulösen Vorerkrankung: "Ich musste monatelang weit weg von meinen Eltern leben, noch einmal. Ich war in den Alpen [in Roc-des-Fiz], um mich behandeln zu lassen."
Jean besucht die Grundschule und später das Collège, aber das Schulleben und die damit verbundene Eingeschlossenheit sind nichts für ihn.
"Ich konnte nicht mit unausgesprochener Autorität umgehen, was mir einige Sorgen eingebracht hat, schulischer Art", sagt er in einem Interview.

Er setzt sein Studium an einer Landwirtschaftsschule fort, zieht dann nach Paris und wendet sich den Rechtswissenschaften und der Geschichte der Arbeiterbewegung zu. Er ist Mitarbeiter bei der Erstellung von Büchern über die Arbeiterklasse. Er verfasst eine Diplomarbeit in Sozialgeschichte. Er arbeitet einige Jahre als Journalist für eine städtische Monatszeitschrift, bevor er sich 1973 dem Lehramt für Sozialmedizin zuwendet.
Von da an unterrichtet er am Gymnasium, gibt Kurse für Lehrer in der Ausbildung; er interessiert sich schon früh für den Unterricht in Informatik, was ein wenig zu seinem Spezialgebiet wird, und für deren Anwendung durch die Schüler im Rahmen des Unterrichtsfachs, das er unterrichtet. Den Großteil seiner Karriere verbringt er am Lycée Maurice Ravel im 20. Arrondissement von Paris.

Familie
In den 1960er Jahren lernt er Annick Barais kennen. Sie stammt aus Baugé in Maine et Loir und studiert Psychologie. Sie heiraten und bekommen 1972 eine Tochter, Sandrine. Sie leben in Paris, bis Jean in den Ruhestand geht. Annick unterrichtet Psychologie an der Universität und beendet ihre Karriere als emeritierte Professorin. Sie ist heute eine anerkannte Spezialistin für kognitive Psychologie. Sandrine, deren Ehepartner aus der Region stammt, lebt in La Flèche. Sie unterrichtet ebenfalls, Französisch, und interessiert sich sehr für den Einsatz von Filmen als pädagogisches Instrument. Sie dreht Filme mit ihren Schülern und ist eine anerkannte Expertin auf diesem Gebiet. Sie lebt mit Jérôme zusammen und hat mit ihm zwei Söhne.

Jean Weil und seine Tochter Sandrine

Jean beendet 1998 seine berufliche Tätigkeit und zieht 1999 mit Annick in eine alte Mühle am Fluss Loir, nicht weit weg von der Gegend, aus der Annick stammt.
Seitdem schreibt Jean regelmäßig, vor allem Kurzgeschichten. Er arbeitet auch als Lokalkorrespondent für regionale Tageszeitungen. Das Leben auf dem Land passt perfekt zu ihm. Er liebt die Natur, die Arbeit in der Landwirtschaft, die Tiere und so hat er  mehr als genug Dinge, um seine Freizeit auszufüllen.
Von dem Anwesen, das sie erwarben, hat man einen herrlichen Blick auf den Fluss Loir.

Jean ist am 20. Januar 2021 in seinem Haus in Bazouges-sur-le-Loir (Sarthe) verstorben.

Wort- und Textdokumente, die ihn charakterisieren
"Ich bevorzuge es, von der Humanität, die in jedem Menschen steckt, zu sprechen, als von den Gräueln, die nur den sadistischen Teil in ihm erwecken", schrieb Jean Weil 2016. Eine intellektuelle Haltung, die gut zusammenfasst, wer dieser ehemalige Deportierte war. 

... Jean Weil ist kaum öffentlich als Zeitzeuge aufgetreten. Er, der sagte, er entspreche kaum dem Stereotyp des unglücklichen Deportierten, bevorzugte das geschriebene Wort als Ausdrucksform.
Seine berufliche Laufbahn war ebenfalls eine Möglichkeit, Botschaften als Zeitzeuge zu verbreiten, die von seiner humanistischen Weltanschauung geprägt waren. "Ich denke, die nützlichste Zeitzeugen-Aussage war die meiner Arbeit als Lehrer. Ich habe versucht, die Schüler vor allen Totalitarismen zu warnen, seien es die von Hitler oder die von Stalin. Ich habe auch versucht, mit den Schülern die Mechanismen des Diskurses herauszuarbeiten, die zu blinder Gefolgschaft und einer demagogischen Sicht sozialer Tatsachen führten", sagte Jean Weil."

"Ende August 2016, als er im Rathaus von Bazouges zum Ritter der Ehrenlegion geschlagen wurde, erklärte er: Ich habe keine Verdienste. Nicht meine individuelle Person ist betroffen, sondern es geht um alle Juden in Frankreich. Sein Name steht auf der "Mur des Noms" [Mauer der Namen] in der Holocaust-Gedenkstätte in Paris. Unter den 75.568 Juden, die aus Frankreich deportiert wurden, war Jean Weil eines von 11.400 Kindern". (Ouest-France Januar 2021)


Jean war ein wunderbarer großer Bruder.
Er war - acht Jahre älter als ich - mein Bezugspunkt und er begleitete mich liebevoll durch meine gesamte Kindheit und Jugend. Er war eine Art Wegweiser, insbesondere für meine Lektüre, und ich habe von seiner Erfahrung profitiert.

 

Marie Josette Ehrhard-Weil (2024)


Jean Weil mit seinem Buch
Jean Weil mit seinem Buch
Écrits sur la guerre et la déportation [Texte über den Krieg und die Deportation]

Links (frz.):